16. Mai 2024

Die Preisverderber

Martin Moszkowicz wird heute mit dem „Carl-Laemmle-Produzentenpreis“geehrt. Laemmle hat irgendwie Hollywood gegründet, darum gilt der Preis für nicht weniger als das Lebenswerk eines Produzenten. Das sind bei Moskowicz, der bis vor kurzem die Constantin Film leitete, mehr als 300 Produktionen von „Fack ju Göhte“ bis „Die drei Musketiere“, die auch beim Publikum gut ankommen. 
Gegen die Ehrung hatte sich die Filmunion in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) schon im März empört (cinearte 719). Kurz vor der Preisverleihung meldeten sich nun 16 weitere Organisationen und Berufsverbände aus gleichem Grund. „Für uns als Filmschaffende hat diese Ehrung leider einen bitteren Beigeschmack“, schrieben sie am Montag in einem gemeinsamen Offenen Brief: „Nachdem die Vorgänge um den sogenannten ,Schweiger-Skandal’ im Frühjahr 2023 durch 50 mutige Filmschaffende und einen ,Spiegel’-Artikel bekannt wurden, hat Herr Moszkowicz die Vorwürfe zunächst heruntergespielt und als ,überwiegend unvollständig und verzerrend, teilweise auch wiederum schlicht falsch’ verharmlost. Erst nach erdrückender Beweislast und heftiger öffentlicher Kritik hat Herr Moszkowicz seine Fehler eingestanden, sich entschuldigt und erklärt, mit der Constantin Film künftig ,Teil der Lösung’ sein zu wollen. Dieses Umdenken ist unbedingt zu begrüßen und aller Ehren wert – preisverdächtig ist es allerdings nicht.“
Die Produktionsallianz sende stattdessen „ein Zeichen in die Branche. Sie zeigen damit, dass Sie es tolerieren, wenn toxische Arbeitsbedingungen erst geduldet und dann vertuscht werden.“ Es bleibt beim Statement. Dass „das Lebenswerk von Martin Moszkowicz zweifelsohne Anerkennung verdient“, meinen auch die Unterzeichner. Sie haben nur noch eine Bitte: „Senden Sie heute ein starkes Signal des Respekts und setzen Sie das Preisgeld ein, um die Arbeitsbedingungen in unserer Branche nachhaltig zu verbessern.“
Bei „Blickpunkt Film“ sorgt das trotzdem für Aufregung. „Man staunt dann schon als altgedienter Filmjournalist, welche Verbände oder Vereine sich zur Unterfertigung dieses Pamphlets haben überreden lassen, dessen zeitliche Terminierung wie auch der kleinkarierte Eifer seines Vorbringens wenig Gutes über die Qualität des Filmverbandsschaffens erahnen lässt“, schreibt da Herausgeber und Chefredakteur Ulrich Höcherl. Die geschilderten Missstände seien doch „längst ein- und ausgeräumt“. „Dass darüber einer der erfolgreichsten deutschen Regisseure, der damals alkoholkranke Til Schweiger, zur Persona non grata in der deutschen Branche wurde, reichte ihnen nicht, auch wenn alle großen Produktionsfirmen, auch die Constantin Film, seither viel dafür getan haben, um auch nur im Ansatz schwierige oder gar toxische Verhältnisse am Set zu vermeiden.“ 
Zur Einordnung: Dass Til Schweiger zur „Persona non grata“ wurde, lag nicht an den Verbänden. Nach dem „Spiegel“-Bericht im vergangenen Frühjahr interessierten sich auch andere Medien für die Arbeitsbedingungen in der Branche und stellten fest: Das ist kein Einzelfall! Damit war das Interesse auch schon wieder vorbei. „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ stritten nur noch, wer als erstes an der Geschichte dran war, Moskowicz und die Constantin kamen mit einem Interview davon. Nur „der damals alkoholkranke“ Schweiger blieb als prominenter Einzelfall. Als Miniserie nachzulesen auf „Outtakes“ hier, hier, hier, hier und hier.
Noch eine Einordnung: Verdi und die Produktionsallianz verhandeln zurzeit über den neuen Tarifvertrag für auf Produktionsdauer Beschäftigte. 
Björn Böhning ist Geschäftsführer der Produktionsallianz. Im „Kompressor“ auf Deutschlandfunk Kultur bügelt er die Kritik einfach weg: „Erstmal würde ich in Frage stellen, dass die 16 Kleinstverbände, […] ,die Filmschaffenden’ in Deutschland sind. Da müssten ganz andere Akteure diesen Brief unterzeichnet haben“, beginnt Böhning. „Vorkommnisse am Set von Til Schweiger“, habe es gegeben. Aber die Untersuchung habe ja die Constantin selbst in Gang gesetzt und viele der Vorwürfe hätten sich nicht bewahrheitet, sagte Böhning. Immerhin gebe es jetzt einen Runden Tisch mit Verdi, um einen „Respect Code“ zu erarbeiten. 
Ähnlich macht’s auch Rüdiger Suchsland auf „Artechock“, aber mit viel mehr Aufregung: „Schon aus Prinzip“ müsse er den „Zwergenaufstand“ kontern: Der Preis für das Lebens­werk von Mosz­ko­wicz sei „als solcher hoch­ver­dient“. Es sei der „reine Neid“, weshalb „16 Verbände von selbst­er­nannten ,Film­schaf­fenden’“ die Auszeichnung verderben wollten. Auch Suchsland stellt die Vorwürfe in Frage: Alles sei nur „angeblich“ und „öffent­li­che Vorver­ur­tei­lung“. Der Offene Brief sei „nichts weniger als ein ehrab­schnei­de­ri­scher Text“, „aus dem falschen Anlass formu­liert“, „arbeitet sich am falschen Objekt ab“ und „kommt gleich dreifach zum falschen Zeitpunkt“. 
Anmerkung 1: Unterzeichnet haben neun Berufsverbände und sechs weitere Organisationen von tatsächlichen Filmschaffenden, wie zum Beispiel Pro Quote Film. Lediglich der Verband der deutschen Filmkritik hat sich da selbst ernannt. 
Anmerkung 2: Unter den Berufsverbänden befinden sich Regie, Filmschnitt und Beleuchtung und Bühne – weitgehend doch eher unverzichtbare Akteure in der Filmproduktion. Der Bundesverband Regie ist mit 580 Mitgliedern der zweitgrößte im Zwergenreich der Kleinstverbände. Die Produktionsallianz hat nach eigenen Angaben „rund 370 Mitglieder“.   
Anmerkung 3: Die Vorwürfe, die im Brief angeführt werden, hatte Moszkowicz selbst schon vor einem Jahr in der „Süddeutschen Zeitung“ [Bezahlschranke]bestätigt. Auch die Untersuchung, die die Constantin in Auftrag gab, hatte die „Spiegel“-Recherchen weitgehend bestätigt (cinearte 699). 
Mit einem Gastbeitrag kommt auch Lars Henrik Gass auf „Blickpunkt Film“ zur Verteidigung. Gass leitet die Oberhausener Kurzfilmtage und hat zurzeit eigene Erfahrungen mit Offenen Briefen und Interessengruppen. Offene Briefe hat er zwar schon selbst geschrieben beziehungsweise unterzeichnet, inzwischen hat er aber Probleme mit diesem „Genre kulturpolitischer Auseinandersetzungen“. Das mag erklären, dass er einen weiten Bogen über Kunst und Politik spannt, aber umso weiter übers Ziel hinausschießt: Ohne Anlass bringt Gass den Vorwurf des Antisemitismus ins Spiel und unterstellt den Verbänden gar, sie würden das Preisgeld wohl gerne selber einstreichen. „Die Filmbranche erzeugt immer mehr und immer komplexere Teilhabeansprüche, die befriedigt werden müssen. Immer mehr Menschen wollen in sogenannten Kreativberufen arbeiten. Daher sind nicht künstlerischer oder wirtschaftlicher Erfolg der Akteure mehr von Belang, sondern allenfalls ,das gesundheitliche und emotionale Wohlbefinden von Filmschaffenden’, die sich tendenziell übervorteilt und schlecht behandelt fühlen.“  
Gegen dieses Gefühl weiß Gass zwar keine Fakten, „es darf jedoch vermutet werden, dass bei Produktionen der Constantin Film regelmäßig weitaus besser bezahlt wird, Arbeitszeiten und Schutzmaßnahmen weitaus besser eingehalten werden als im Branchendurchschnitt. Zumindest wäre der Gegenbeweis noch zu erbringen.“
Zumindest einen Gegenbeleg erbringt alljährlich der „Fair Film Award“, für den die Filmschaffenden selbst die Situation bewerten (Transparenzhinweis: Crew United gehört zu den mehr als 30 Mitgliedern der Initiative Fair Film, die dahintersteht). Den Preis für vorbildliche Produktionsbedingungen hat die Constantin Film 2018 für „Der Vorname“ gewonnen. Seitdem landete sie in der Listung der Produktionsfirmen meist weit unter dem Durchschnitt. Platz 53 von 64 war es in diesem Jahr. Auffälllig: Bei den mäßiger bewerteten Produktionen reißen die Noten in zwei Kategorien das Ergebnis nach unten: Arbeitszeiten/Arbeitsschutz und Kommunikation/Arbeitsklima (hier gibt’s die Auswertungen und Kriterien zum „Fair Film Award“ ab dem Jahr 2019).

Quelle: Cineaste – der BRanchen-Newsletter von Crew United

 

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