20. März 2024

„Sondergagen“ in Fernsehproduktionen: „Wer aufmuckt, wird nicht mehr besetzt“

Mit sogenannten „Sondergagen“ betreiben Film- und Serienproduktionen Gagen-Dumping. Erfahrene Schauspieler:innen arbeiten teilweise unter den Mindestgagen für Anfänger:innen. Wie ist das möglich?  […]

Übermedien liegt ein Mailverlauf mit der Anfrage für einen Schauspieler für eine Tagesrolle vor. Darin betont die Firma zunächst die „anspruchsvollen Drehbücher“ und die Absicht, „das Vorabendprogramm von Sat1 aufzuwerten“. Man gestalte „eine Serie mit hochwertiger Qualität“.

Klingt erst mal gut. Wäre nicht das „Aber“. „Vorabendprogramm bedeutet leider auch geringere finanzielle Mittel“, heißt es in der E-Mail. Somit müsse man hier „im Kleindarstellerbereich anfragen.“ Für einen Drehtag werden 750 Euro angeboten. Das sei „nicht verhandelbar“ gewesen, sagt der Schauspieler, der die E-Mail bekommen hat. […]

Hört man sich in der Branche um, stößt man auf sehr viel Frust. „Sondergagen“ scheinen zur Gewohnheit geworden zu sein. Bei dem Wort denkt man an eine extra Gage, eine Sonderzahlung zusätzlich zum eigentlichen Honorar. Aber der Begriff ist irreführend. „Er bedeutet einfach eine besonders niedrige Gage“, erklärt Hans-Werner Meyer, selbst Schauspieler, außerdem Mitgründer und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Schauspiel (BFFS). Besonders ist an diesen Gagen nur, dass sie reihenweise tariflich festgelegte Mindest-Einstiegsgagen für Schauspieler:innen unterschreiten.

Der Begriff „Sondergage“ schützt die Schauspieler:innen zumindest, indem er eine Ausnahme markiert. […] Übermedien liegen zahlreiche Casting-Anfragen für Fernsehfilme- und Serien vor. Öffentlich spricht kaum jemand darüber, auch weil in Verträgen oft steht, dass ihr Inhalt der „Geheimhaltung“ unterliege. […]

Der Tarifvertrag legt 850 Euro (ohne Folgevergütung für Wiederholungen) und 825 Euro (mit Wiederholungshonorar) fest. Wohlgemerkt gilt das für Anfänger:innen, eine Mindestgage für erfahrene Schauspieler:innen gibt es nicht, erklärt Hans-Werner Meyer vom BFFS, „sie darf aber keinesfalls unter der Einstiegsgage für Berufsanfänger*innen liegen. Die Produktionsfirma Pyjama Pictures gehört zur Produzentenallianz und sollte sich deshalb an diesen Tarifvertrag halten.“ Aus Sicht des BFFS verstößt Pyjama Pictures gegen geltendes Tarifrecht.

Nach Abzügen – Steuern, Agenturprovision, Pensionskasse Rundfunk – bleibt von einer Tagesgage von 750 Euro nicht mehr viel. Die Schauspieler:innen berichten im Gespräch mit Übermedien übereinstimmend, dass im Durchschnitt rund 40 Prozent der Gage übrig bleiben, teilweise sogar nur gut 20 Prozent. […]

In der Regel sind Schauspieler:innen mehrere Wochen für die Dreharbeiten geblockt, weil Drehpläne oft kurzfristig geändert werden. Sie müssen also bereit für ihren Einsatz sein und können in der Zeit keine anderen Anfragen annehmen. Bezahlt werden aber nur die Drehtage. Mal sind das zwei, mal vier oder fünf, manchmal nur ein einziger Drehtag. Für einen Drehtag „Küstenrevier“ wäre Ingo Langmann elf Tage geblockt gewesen – was nicht unüblich ist. 40 Prozent von 750 Euro, also 300 Euro, für 1,5 Wochen, das sind prekäre Arbeitsbedingungen. […]

Auf Anfrage an das ZDF, womit man die „Sondergagen“ bei bisherigen „Instant“-Formaten begründet und ob auch bei der neuen Serie „Bauchgefühl“ diese Gagen gezahlt werden, antwortet der Sender, dass er sich „selbstverständlich für faire Arbeitsbedingungen“ einsetze. Und: „Die vom BFFS tariflich festgesetzten Mindestgagen für Schauspielerinnen und Schauspieler werden nicht unterschritten. Bei der Instant Fiction ‚Bauchgefühl‘ wurde durch das ZDF eine angemessene und branchenübliche Vergütung mit dem Produzenten vereinbart. Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu Vertragsdetails grundsätzlich nicht äußern können.“ […]

Inzwischen werden sogar für Prime-Time- und Kinoproduktionen „Sonder“- bzw. „Kleindarstellergagen“ geboten – „für langjährige, gut ausgebildete Schauspieler:innen“, betont Hans-Werner vom BFFS. Übermedien liegen entsprechende Casting-Einladungen vor, unter anderem eine für die historische Serie „Oktoberfest 1905“, die Fortsetzung von „Oktoberfest 1900“. Die erste Staffel lief 2020 im Hauptprogramm der ARD um 20.15 Uhr. (Paid)

https://uebermedien.de/93352/wer-aufmuckt-wird-nicht-mehr-besetzt/

Quelle: DIMBB-MEDIEN-News

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